Fußballpolitik – im wahrsten Sinne des Wortes

By | January 16, 2015

Was haben sich Lahm, Schweini, Neuer & Co. gefreut, als nach dem mehr als geglückten WM-Auftakt gegen Portugal die Bundeskanzlerin höchstpersönlich in der Mannschaftskabine aufgetaucht ist, um zum verdienten Sieg zu gratulieren und den teilweise leichtbekleideten Weltmeistern in spe viel Glück für den weiteren Verlauf des Turniers zu wünschen. Ein Selfie hier, ein Selfie da und ab damit auf Instagram. Seien wir doch mal ehrlich, ob Merkel- bzw. CDU/CSU-Sympathisant oder nicht, irgendwie kann man dann schließlich doch nicht umher, das Grinsen abzustellen, sobald man Angie, umgeben von einer 23-köpfigen Horde halbwegs junger (schließlich war der angehende Rentner Miro Klose ebenfalls mit von der Partie), muskulöser Männer sieht, deren Namen jedem deutschen Bürger geläufiger sein dürften als die der Mitglieder des Bundeskabinetts. Und während ganz Deutschland sehnlichst auf das zweite Foto, diesmal mit dem goldenen Pokal, seit vergangenem Sommer auch besser bekannt als „das dicke dicke Ding“, hin fiebert, passiert 10.013 Kilometer nordwestlich der Copacabana im Berliner Bundestag etwas Eigenartiges, das jedoch regelmäßig im Zwei-Jahres-Turnus zu beobachten ist: Eben jenen Unbekannten, den Herren und Damen Bundesminister/innen, ist auf einmal wahnsinnig viel daran gelegen, einen Gesetzesentwurf nach dem anderen zu verabschieden, und das mit einer Geschwindigkeit, die selbst Ex-Nationalspieler David Odonkor Konkurrenz gemacht hätte.

 

 

Ein Zufall, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble die umstrittene Reform der Lebensversicherung bereits am 11. Juli – und damit zwei Tage vor dem WM-Finale – in Kraft treten sehen möchte oder dass Ursula von der Leyen darauf pocht, die Ausstattung der Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen weiter voranzutreiben, möglichst bevor das Fußballfieber wieder abklingt? Wohl kaum.

Neu ist dieser Ansatz in der Politik nicht. So hat Angela Merkel am 16. Juni 2006 (Deutschland – ein Sommermärchen, wir erinnern uns?) beispielsweise eine Mehrwertsteuer-Erhöhung von 3% durchboxen können. 2010 folgte dann die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge von 14,9% auf 15,5% und zwar an einem Freitag, zwei Tage nach Deutschlands 1:0-Erfolg gegen Polen. Der absolute Höhepunkt dann zum Halbfinale der Europameisterschaft 2012, als das „Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens“ binnen 57 Sekunden verabschiedet wurde, schließlich durfte sich keiner der Abgeordneten die Partie Deutschland-Italien entgehen lassen. Besagtes Gesetz befähigt Einwohnermeldeämter, Privatadressen von Bürgern weiter zu verkaufen, zum Beispiel an Adressenhändler oder Werbetreibende.

Zurück ins Jahr 2014. Werfen wir doch einmal einen Blick auf die Tagesordnung der viertägigen Parlamentssitzung, die vom 24. Juni bis einschließlich 27. Juni stattfand. Zur Auswahl stehen unter anderem:

 

Bildschirmfoto 2015-01-16 um 15.11.10

 

Insbesondere letzterer Entwurf hat es in sich. Die Gesetzesänderung sieht u.a. eine Senkung des Garantiezinses für Neuverträge vor und begründet das Vorhaben mit einer andauernden, für die Versicherungen schädlichen Niedrigzinsphase. Klar, dass hier die Versicherten wohl oder übel den Kürzeren ziehen werden. Auffällig ist in diesem Zusammenhang vor allem die äußerst knapp bemessene Beratungsfrist, die für die Beschlussfassung angesetzt wurde. Üblicherweise seien vier bis sechs Wochen für ein solches Vorhaben vorgesehen. In einem Antrag fordert die Fraktion DIE LINKE, den Gesetzesentwurf einer eingehenderen Prüfung zu unterziehen. Dort heißt es:

 

“Die Zeit für die parlamentarische Beratung und Umsetzung des von der Bundesregierung vorgelegten Lebensversicherungsreformgesetzes (LVRG, „Entwurf eines Gesetzes zur Absicherung stabiler und fairer Leistungen für Lebensversicherte“, einschließlich zwei Verordnungen) ist viel zu kurz angesetzt. Das Zeitfenster von der Einbringung des Gesetzes bis zur Beschlussfassung reicht nicht aus: Nach einer öffentlichen Anhörung am 30. Juni 2014 wird der Entwurf bereits zwei Tage später durch den Finanzausschuss gewunken und soll am 4. Juli 2014 im Bundestag verabschiedet werden. Zudem sollen nach der Verabschiedung des Gesetzes im Bundesrat am 11. Juli 2014 bereits am Tag nach der Verkündung wesentliche Teile in Kraft treten.

Mit dem Gesetzentwurf beansprucht die Bundesregierung, die Risikotragfähigkeit der Lebensversicherer und die Stellung der Versicherungsnehmerinnen und -nehmer gleichermaßen zu stärken. Insgesamt ist die Regelungsmaterie sehr komplex. Ob der Gesetzentwurf dem Ausgleich der teilweise widerstreitenden Interessen zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmerinnen und -nehmern, einschließlich jener, deren Lebensversicherungspolicen in Kürze fällig werden, tatsächlich gerecht wird, bedarf der sorgfältigen Abwägung.

[…]

Ein anderes Bild zeigt eine detaillierte Untersuchung von über 60 Lebensversicherern, die ÖKO-TEST durchgeführt hat. Demnach verzeichnet die Branche der Lebensversicherungsunternehmen insgesamt trotz Niedrigzinsphase solide, teilweise sogar gestiegene Erträge und ist weit von einer Krisensituation entfernt („Auf Kos- ten der Kunden“, ÖKO-TEST 2/2014)

[…]

Bei einem Inkrafttreten von Teilen des Gesetzes bereits im Juli 2014 bleibt für Versicherungsnehmerinnen und -nehmer mehrheitlich keine Zeit zu prüfen, ob sie ihre Police nach der geltenden Rechtslage vorzeitig kündigen sollen oder ob es günstiger ist, den Vertrag laufen zu lassen.”

 

So schnell scheint sich die Opposition dann glücklicherweise doch nicht immer auf dieses Spielchen einzulassen.

Mal gucken, was der Bundestag 2016 so für uns bereithält. Eigentlich wäre doch mal wieder eine Steuererhöhung fällig, oder? Aber bis dahin freue ich mich erst einmal noch eineinhalb Jahre über den vierten goldenen Stern.

 

https://www.youtube.com/watch?v=xvtpQTtxBtM

 

Quelle: Beitragsbild

Category: Fussball: Globaler Sport und deutsche Ansichten Germany

About Thamina Stoll

Thamina Stoll was born and raised in Munich, Germany and initially only meant to stay at Duke for a study abroad year. But then she fell in love with Duke and decided to transfer for good. Before she came to the States, Thamina worked as a sports reporter at M94.5, a radio station based in Munich. As part of the Duke Athletics Social Media Team, Thamina does live-coverage of the Blue Devils' football, basketball, volleyball and soccer games on various social media platforms. She is a loyal Bayern Munich fan.

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